Wer glaubt, er könne eine Kunst in Buchstaben hinterlassen und wiederum, wer sie hinnimmt in der Meinung, es werde aus den Buchstaben etwas deutlich und sicher werden, der möchte wohl großer Einfalt voll sein und in Wahrheit nichts von der Weissagung des Ammon wissen, indem er glaubt, geschriebene Reden seien mehr als bloße Gedächtnishilfen für einen, der schon weiß, was da geschrieben steht.
Denn dieses Sonderbare hat die Schrift, und darin gleicht sie der Malerei: auch die Schöpfungen der Malerei stehen wie lebendig da; wenn du sie aber fragst, schweigen sie recht ehrwürdig. Ebenso die Schriften. Man könnte meinen, sie sprächen, als verständen sie etwas. Fragst du sie aber lernbegierig nach etwas, was in ihnen steht, so sagen sie immer nur ein und dasselbe. Und wenn eine Rede einmal geschrieben ist, so treibt sie sich überall umher, in gleicher Weise bei denen, die sie verstehen, wie bei denen, für die sie nicht bestimmt ist, und sie weiß nicht, zu wem sie reden soll und zu wem nicht. Und wird sie mißhandelt und zu unrecht kritisiert, braucht sie immer die Hilfe ihres Vaters. Denn sie selbst kann sich weder wehren noch helfen.
aus: Platon, Phaidros.
Platons Worte sind heute aktueller denn je, denn wieder einmal will die Schrift nicht mehr alleine die Verwandlung eines Gedan-kens in Rede abbilden, sondern gewissermaßen eine eigene Wirklichkeit produzieren: einen Diskurs im Sinne Foucaults, wie er ihn in seiner Analyse der Machtmechanismen beschreibt.